Mittwoch, 20. August 2008

Aktiv werden:

hier eine kleine Auflistung an Möglichkeiten Aktiv zu werden:

Informationsfreiheit
Einwohner_innenfragestunde
Bürgerantrag
Demonstrationen und Kundgebungen
Bürgerbegehren

Informationsfreiheit:

Seit 1999 gilt in Berlin das Informationsfreiheitsgesetz. Eine erste Bilanz der Anwendungsbereichs bzw. der Schwierigkeiten ist hier einzusehen.

Jeder hat demnach ein umfassendes Informationsrecht die öffentlichen Behörden zu kontrollieren. Das Gesetz regelt demnach das grundsätzliche Recht darauf, öffentliche Akten einzusehen. Natürlich ist das wiederrum höchst eingeschränkt, da ein Schutz personenbezogener Daten erfolgt. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn Verträge von der öffentlichen Hand mit Privaten abgeschlossen wurden.

Des Weiteren wird ein breiter Personenkreis ausgeschlossen, da Gebühren erhoben werden.

Einwohner_innenfragestunde

EinwohnerInnen (Wohnsitz, Ausbildungsplatz, Arbeitsplatz im Bezirk) können in jeder Berzirksverordnetenversammlung Fragen an das Bezirksamt stellen. Die Frage muss voher schriflich eingereicht werden (2 Einzelfragen). Zusätzlich kann mensch dann eine mündliche Fragestellung vortragen.
Die Fragestellunge müssen zwei Werktage vor der Bezirksverordnetenversammlung eingehen. In Friedrichshain-Kreuzberg an folgende Adresse:

Email: bezirksverordnetenversammlung@ba-fk.verwalt-berlin.de

Das „Gesamtkonzept für die städtischen Wohnungsbaugesellschaften“ lässt viele Fragen offen

Ein Artikel aus dem MieterEcho zur Einordnung des Gesamtkonzeptes für die städtischen Wohnungsbaugesellschaften:
Das „Gesamtkonzept für die städtischen Wohnungsbaugesellschaften“ lässt viele Fragen offen
Andrej Holm

Wie weiter mit den städtischen Wohnungsbaugesellschaften? Diese Frage stellen sich nicht nur die Mieter/innen Berlins, sondern auch die dafür zuständigen Fachabteilungen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Insbesondere im Zusammenhang mit den massiven Privatisierungsprozessen der vergangenen Jahre wurde von der Berliner MieterGemeinschaft und anderen Mieterorganisationen immer wieder die Erarbeitung einer langfristigen Vision für die städtischen Wohnungsunternehmen eingefordert. Mitte vergangenen Jahres beschloss der Senat ein längst überfälliges „Gesamtkonzept für die städtischen Wohnungsbaugesellschaften“. Doch zahlreiche Fragen bleiben unbeantwortet.

Am 3. Juli 2007 verabschiedete der Senat von Berlin ein sogenanntes „Gesamtkonzept für die städtischen Wohnungsbaugesellschaften“. Rein formal ist dies ein bedeutsamer Schritt, denn bisher hatte das Land Berlin als Eigentümer der kommunalen Wohnungsunternehmen keine einheitliche Strategie für die derzeit noch sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. Eine übergreifende Strategie für diese Wohnungsbaugesellschaften, deren etwa 260.000 Wohnungen immer noch einen Anteil von fast 15% des Gesamtwohnungsbestands ausmachen, wurde nicht nur von Mieterorganisationen gefordert, sondern auch von der Unternehmensberatung Ernst & Young. Diese hatte 2003 in einem Gutachten in Bezug auf die Wohnungsunternehmen den Startschuss für die Privatisierungswelle gegeben, in deren Verlauf auch die GSW privatisiert wurde.

Berlins Städtische Wohnungsbaugesellschaften

– Degewo Deutsche Gesellschaft zur Förderung des Wohnungsbaues, gemeinnützige Aktiengesellschaft
– Gesobau AG
– Gewobag Gemeinnützige Wohnungsbau-Aktiengesellschaft Berlin
– Howoge Wohnungsbaugesellschaft mbH
– Köwoge Köpenicker Wohnungsgesellschaft mbH
– Stadt und Land Wohnbauten-Gesellschaft mbH

Mit dem Gesamtkonzept werden offenbar sehr verschiedenen Erwartungen verbunden. Während sich insbesondere die Mieterorganisationen eine langfristige Strategie für eine soziale Mietentwicklung versprechen, zielen die Überlegungen der Unternehmensberatung stärker auf den wirtschaftlichen Erfolg der Berliner Wohnungspolitik. Dass soziale Ziele in der Wohnungsversorgung den wirtschaftlichen Gewinnorientierungen jedoch meist entgegenstehen, dürfte auch im Hause Junge-Reyer bekannt sein – umso erstaunlicher ist das letztlich beschlossene Kompromisspapier. Statt einer klaren politischen Prioritätensetzung wird eine Gleichrangigkeit der Ziele deutlich. So werden keine wohnungspolitischen Vorgaben formuliert, um daran eine wirtschaftliche Strategie auszurichten und es werden auch keine ökonomischen Ziele benannt, um damit die entsprechenden sozialen Einschränkungen offen zu vertreten. Dadurch bleibt das Gesamtkonzept an all den Stellen vage, wo eine politische Auseinandersetzung beginnen müsste.

Soziale Rhetorik…

Das „Gesamtkonzept für die städtischen Wohnungsbaugesellschaften“ benennt verschiedene wohnungspolitische Ziele. So wird es als sinnvoll beschrieben, einen „ausreichenden strategischen Bestand an Wohnungen“ in der öffentlichen Hand zu behalten, um den Wohnungsmarkt im Interesse der Mieter/innen mitzugestalten und zur „Bewältigung besonderer sozialer Problemlagen“ beizutragen. Welchen Umfang ein solcher „strategischer Bestand“ haben sollte, wird nicht erörtert. Mit einem Verweis auf einen für Ballungsgebiete durchschnittlichen Marktanteil von etwa 15% wird der heute vorhandene Wohnungsbestand als „strategisch“ definiert und festgeschrieben. „Verkäufe von Wohnungen sind deshalb auf das zur Eigensicherung und Bestandsarrondierung zwingend erforderliche Maß zu begrenzen“. Insbesondere größere Verkäufe – so sieht es das Gesamtkonzept vor – müssen künftig mit dem Senat abgestimmt werden. Nur die Veräußerung einzelner Wohnungen oder kleiner Wohnungsbestände zur Bildung von Wohneigentum sind weiterhin zulässig. Dass sich auch durch solche kleinen Verkäufe der angeblich „strategische Bestand“ verringert, wird nicht weiter thematisiert.

... aber keine Segregationsvermeidung

International wird im Zusammenhang mit sozialen oder öffentlichen Wohnungsbeständen immer wieder auf die Verantwortung für eine ausgeglichene stadträumliche Entwicklung verwiesen. Um einer Segregation, also der Konzentration von benachteiligten Haushalten in einzelnen Quartieren, entgegenzuwirken, werden öffentliche Wohnungen genau dort angeboten, wo ärmere Haushalte sich die Miete sonst kaum leisten können. Solche Überlegungen spielen im Gesamtkonzept der Senatsverwaltung jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Statt eines preiswerten Angebots zur Kompensation von Benachteiligungen bestehe die Aufgabe der Wohnungsunternehmen vielmehr darin, „auch in Zukunft ein breit gefächertes, nachfragegerechtes und attraktives Wohnungsangebot“ zu sichern. Ein attraktives Wohnungsangebot sei dabei als Standortfaktor wichtig und trage so zur „Eindämmung der Stadt-Umland-Wanderung und zur sozialen Stabilität in der Stadt“ bei. Mit anderen Worten: Die beste Medizin für soziale Problemgebiete ist die Förderung von Mittelklasse-Haushalten, weil dann die Armut wenigstens in einem gemischten Stadtteil zu Hause sei. Passend zu dieser Strategie wird in dem Gesamtkonzept von einer „Stabilisierung durch Mieterprivatisierung“ fabuliert. Der Eigentumserwerb habe „insbesondere in den Gebieten, in denen überwiegend Menschen in schwieriger sozialer Situation leben und in Großsiedlungen stabilisierende Wirkungen auf das soziale Umfeld“, da sich „Eigentümer von Wohnungen (…) in besonderer Weise für das Wohnumfeld“ engagieren. Die Wohnungsbaugesellschaften sollen ihren Mieter/innen hierzu in geeigneten Beständen die Möglichkeiten eröffnen.

Mietspiegel gilt auch für Wohnungsbaugesellschaften

Ein „gewisses Potenzial an preiswerten Wohnungen“ soll jedoch erhalten bleiben – weil dies „von der Wirtschaft zunehmend als positiver Standortfaktor“ bewertet wird und durch eine „abgewogene und vermittelnde Vermietungspolitik“ sollen die Wohnungsbaugesellschaften einen „entscheidenden Beitrag zur Integration“ leisten. Wie dies konkret geschehen soll, wer oder was dabei „abgewogen“ wird und welche Wirkungsketten dabei beabsichtigt sind, bleibt leider offen. Frühere Vermietungspraktiken wie bei der Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land, die in bestimmten Wohngebieten praktisch einen Zuzugsstop für nichtdeutsche Haushalte verhängte (siehe MieterEcho Nr. 285), lassen zumindest nicht nur Gutes hinter dieser Formulierung erwarten.

Unter dem Stichwort „Soziale Stadtentwicklung“ wird an die Satzungen und Gesellschaftsverträge der städtischen Wohnungsunternehmen erinnert, in denen die „ausreichende Versorgung mit geeignetem Wohnraum für breite Schichten der Bevölkerung“ als Aufgabe der Wohnungsunternehmen festgeschrieben ist. Insbesondere die Bereithaltung von Wohnungen für einkommensschwache und benachteiligte Haushalte sei als ein Beitrag zur sozialen Stadtentwicklung anzusehen. Um dies zu sichern, soll die Mietgestaltung der städtischen Wohnungsbaugesellschaften sozial verträglich erfolgen. Konkret wird festgelegt, dass sich die Wohnungsunternehmen bei Mieterhöhungen infolge von Modernisierungen an der ortsüblichen Vergleichsmiete zu orientieren haben. Dieses Deckeln der modernisierungsbedingten Mieterhöhungen soll übermäßige Mietsteigerungen verhindern, insbesondere wenn bei stark renovierungsbedürftigem Wohnraum höhere Investitionen getätigt werden müssen. Auch bei allgemeinen Mieterhöhungen sollen sich die Wohnungsbaugesellschaften am jeweiligen Mietspiegel orientieren – auch, um die „allgemeine Akzeptanz und Befriedungswirkung des jeweiligen Berliner Mietspiegels dadurch zusätzlich zu stärken“. Immerhin, bei Mieterhöhungen „sollen die Gesellschaften darauf achten, auch weiterhin Wohnungen für Haushalte mit niedrigem Einkommen in ihrem Bestand zu halten“. Wie viele dies sein sollen und zu welchen Konditionen dieses Niedrigpreissegment gehalten werden soll, wird nicht näher beschrieben.

Wohnungswirtschaftliche Daumenschrauben

Wesentlich klarer formuliert erscheinen die Aussagen des Gesamtkonzepts zu den wohnungswirtschaftlichen Aspekten der Unternehmensstrategien. Die Aufgabe der städtischen Wohnungsunternehmen sei es, „das jeweilige Unternehmen (…) zu einem dividendenfähigen Unternehmen“ weiterzuentwickeln. Insbesondere sollen im Zeitraum 2002 bis 2010 die Kreditverbindlichkeiten um 25% verringert werden. Diese lagen 2002 bei 8,6 Milliarden Euro und sollen um etwa 2,25 Milliarden Euro reduziert werden. Da dieser Betrag deutlich über der Summe der jährlich erwarteten Gewinne von etwa 100 Millionen Euro liegt und davon ja auch noch Dividendenzahlungen an das Land Berlin erwartet werden, richten sich die wirtschaftlichen Strategien wesentlich auf die „Beschaffung günstiger Finanzierungsmittel“. Insbesondere in einem gemeinsamen Marktauftritt der städtischen Wohnungsbaugesellschaften wird eine Chance gesehen, bestehende Kreditlinien günstiger zu gestalten. Daneben wird auf die klassischen Elemente einer ökonomischen Effizienzorientierung gesetzt: die Erträge sollen erhöht und die Kosten reduziert werden. So sollen „die Erträge aus Mieten (…) kontinuierlich gesteigert werden“. Neben der Reduzierung von Leerstand und sonstigen Gründen für Ertragsschmälerungen sollen zusätzliche Erträge insbesondere durch die „Anpassung des Mietniveaus an gesteigerte bauliche Qualität von Wohnraum oder Wohnumfeld“ erfolgen. Daneben sollen energetische Verbesserungen zu einer Erhöhung der Nettokaltmieten genutzt werden, aber so, dass sich aufgrund sinkender Betriebskosten für die Mieter/innen keine Mehrbelastung ergibt.

Schwarze Zahlen seit 2007

Im vergangenen Jahr haben alle sechs städtischen Wohnungsbauunternehmen positive Jahresergebnisse erzielt. Insgesamt betragen die Überschüsse 116,6 Millionen Euro (Vorjahr 91,4 Millionen Euro). Der BBU meldete: „Der Schuldenstand sei um mehr als 500 Millionen Euro auf zuletzt gut sieben Milliarden Euro reduziert worden. Den Unternehmenswert bezifferte Sarrazin auf 5,1 Milliarden Euro, eine Steigerung um 13,3% gegenüber dem Vorjahr.“

Zum Stichwort der Kostenreduzierung werden insbesondere die Verwaltungs- und Personalkosten angeführt. So wird es im Gesamtkonzept als Erfolg bewertet, dass die Zahl der Mitarbeiter/innen der städtischen Wohnungsunternehmen zwischen 2003 und 2006 von 4235 auf 3696 um 12,7% verringert werden konnte. Die dadurch eingesparten Kosten werden mit über zwei Millionen Euro angegeben. Unter dem Punkt „konkrete Zielmarken“ wird folgerichtig für vier der sechs Wohnungsbaugesellschaften die „Senkung von Personal- und Sachkosten“ bzw. die „Vereinbarung einer geeigneten Kennzahl für den Personalabbau“ festgelegt.

Auf der Ebene der Organisation der städtischen Wohnungsunternehmen setzt das Gesamtkonzept auf die Einführung und Weiterentwicklung eines einheitlichen Controllings. Zudem sollen die Aufsichtsräte, die es bisher auch für die Tochterunternehmen der Wohnungsbaugesellschaften gab, auf einen je Konzern reduziert werden. Damit soll die Rolle des Gesellschafters – also des Landes Berlin – gestärkt werden. Da das bestehende Aktiengesetz die Weisungsbefugnisse des Gesellschafters einschränkt, sollen die drei als Aktiengesellschaften organisierten Wohnungsbaugesellschaften (Degewo, Gesobau, Gewobag) ebenfalls in die Gesellschaftsform einer GmbH überführt werden.

Zahnloser Papiertiger

Eine Einschätzung des „Gesamtkonzepts für die städtischen Wohnungsbaugesellschaften in Berlin“ muss notwendigerweise skeptisch ausfallen. Zwar wurde mit dem Gesamtkonzept eine längst überfällige Strategiedebatte über die Zukunft der kommunalen Wohnungsbaugesellschaften begonnen, doch bleiben insbesondere die wohnungspolitischen Aussagen überwiegend vage und zahm. So begrüßenswert es ist, dass sich die Wohnungsbaugesellschaften beispielsweise als Träger von „innovativen Wohnformen für Seniorinnen und Senioren“ profilieren und bei der Umsetzung energiepolitischer Maßnahmen eine „Vorreiterrolle“ einnehmen wollen, so unkonkret bleiben die Antworten auf die Fragen einer sozialen Miet- und Stadtentwicklung. So findet sich etwa kein Satz zur Verantwortung der Wohnungsunternehmen für die angemessene Wohnungsversorgung der etwa 300.000 Bedarfsgemeinschaften für ALG II oder für Aufrechterhaltung preiswerter Wohnungsangebote in den innerstädtischen Aufwertungsgebieten nach Aufhebung der Sanierungssatzungen. Im Gegenteil, Verantwortung für eine sozial ausgeglichene Stadtentwicklung wird vor allem in der Förderung von Wohneigentum und der gezielten Aufwertung der eigenen Bestände gesehen. Mithin also in Maßnahmen, die der wirtschaftlichen Konsolidierungspolitik nicht entgegenstehen. Eine soziale Wohnungspolitik aber, die tatsächlich Verantwortung für die Wohnungsversorgung von Ausgegrenzten übernehmen will und eine mietpreisdämpfende Wirkung der etwa 260.000 kommunalen Wohnungen für den gesamtstädtischen Wohnungsmarkt sichern soll, ist mit den Effizienzvorgaben der Ertragssteigerung und Kostensenkung nicht vereinbar. Das vorliegende Gesamtkonzept orientiert sich stattdessen weitgehend an der erwarteten Wohnungsmarktentwicklung und verkürzt soziale Wohnungspolitik auf eine Nothilfe für sogenannte „besondere Haushalte“ im geschützten Marktsegment.

Verkürzung auf betriebswirtschaftliche Sicht

Mögliche Potenziale, um einem privatwirtschaftlich getragenen Wohnungsmarkt entgegenzusteuern, werden nicht entwickelt und sind im Gesamtkonzept auch nicht vorgesehen. Der Wert von öffentlichen Wohnungsunternehmen wird dadurch auf unternehmerische Aspekte verkürzt. Aus einer wohnungspolitischen Perspektive ist dieses Gesamtkonzept keine Lösung, sondern ein Problem. Die Senatsverwaltung scheint sich dessen bewusst zu sein, denn durch die bisher eher defensive Darstellung des Gesamtkonzepts ist die Senatorin Ingeborg Junge-Reyer bisher einer politischen Debatte um die Zukunft der städtischen Wohnungsbaugesellschaften erfolgreich ausgewichen. Doch spätestens mit der nächsten Verkaufsdiskussion oder den nächsten Mietspiegeldaten werden Fragen zu den Aufgaben und Perspektiven einer kommunalen Wohnungswirtschaft erneut auf der Tagesordnung stehen. Und das vorliegende Gesamtkonzept gibt keine zufriedenstellenden Antworten.

Überblicksartikel zur Geschichte der Wohnungsbaugesellschaften in Berlin. Die Destruktion der kommunalen Wohnungswirtschaft in Berlin - von Joachim Oellerich, MieterEcho 310/Juni 2005.

Dienstag, 19. August 2008

Zu kurz geratene Auswahl der Fakten: Armut und Reichtum

Der 3. Armuts- und Reichtumsbericht (pdf) der Bundesregierung zeigt einen frappierenden Trend auf. Hierzu ein kleiner Artikel aus dem MieterEcho von Christian Linde.
Der dritte Armuts- und Reichtumsbericht dokumentiert eine dramatische Zunahme von Armut – das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hält die Zahlen sogar noch für geschönt

Eines der wichtigsten Ergebnisse der rot-grünen Regierung ist drei Jahre nach deren Ende amtlich: Die Kluft zwischen Armen und Reichen hat sich weiter vertieft. Vor allem Langzeiterwerbslose, Geringqualifizierte und Alleinerziehende mit ihren Kindern sind Opfer der anhaltenden Umverteilungspolitik. Demnach müssen inzwischen 13% aller in Deutschland lebenden Menschen unterhalb der Armutsgrenze existieren. Das ist jede/r achte Bundesbürger/in. Weitere 13% überspringen nur aufgrund von Transferleistungen diese Schwelle. Das heißt, ohne staatliche Hilfe wie Arbeitslosen-, Kinder- oder Wohngeld, sind insgesamt 26% oder jede/r Vierte von Armut betroffen oder unmittelbar bedroht. Das geht aus dem neuen Armuts- und Reichtumsbericht hervor, den die amtierende Koalition vorgelegt hat.

Es ist der dritte Armuts- und Reichtumsbericht seiner Art. Die Vorgängerstudien stammen aus den Jahren 2001 und 2003. Die aktuelle Erhebung erstreckt sich über den Zeitraum der Jahre 2002 bis 2005 und schließt damit die Anfangsphase der sogenannten Arbeitsmarktreform ein. Die Folgen, etwa im Bereich der Hartz-IV-Gesetzgebung und deren Auswirkungen für Langzeiterwerbslose, sind im Rahmen der Erhebung jedoch nicht berücksichtigt.

Zunehmende Gefahr des sozialen Abstiegs

Basierend auf Daten aus dem Jahr 2005 gelten 1-Personen-Haushalte als arm, wenn diese über weniger als 781 Euro pro Monat verfügen. Bei 2-Personen-Haushalten sind es 1172 Euro und bei einem vierköpfigen Haushalt liegt die Armutsschwelle bei einem monatlichen Nettoeinkommen von 1640 Euro. Die Grenzen ergeben sich aus dem sogenannten Median-Wert. Dieser entspricht 60% des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung. Zum Vergleich: Im 2. Armuts- und Reichtumsbericht lag die Armutsgrenze noch wesentlich höher: 2003 lag die Schwelle bei 938 Euro für Single-Haushalte. Der Grund für die veränderte Bemessungsgrundlage liegt im rapiden Absinken der Einkünfte im mittleren und unteren Einkommenssegment.

Armutsrisiko trotz Erwerbstätigkeit

Die Reichtumsgrenze überschreitet, dessen Einkommen doppelt so hoch wie das durchschnittliche Gehalt in der Bevölkerung ist. Demzufolge gelten 1-Personen-Haushalte, die im Monat mehr als 3268 Euro netto beziehen, als reich. Für eine vierköpfige Familie liegt die Grenze bei 8863 Euro netto. Diesen Wert erreichen nur 6,4% der Bevölkerung.

Auch in der Einkommensverteilung haben sich in den vergangenen Jahren gravierende Verschiebungen vollzogen. Während der Anteil der Besserverdienenden, die mehr als 150% des Durchschnittseinkommens beziehen, zugenommen hat, stieg gleichzeitig auch die Zahl der Geringverdienenden an. So ist ein besonderer Anstieg bei denjenigen zu verzeichnen, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen und trotzdem von Armut betroffen sind. In Zahlen ausgedrückt: Die durchschnittlichen Bruttolöhne sind im Untersuchungszeitraum um 4,7% von jährlich 24.873 Euro auf 23.684 Euro gesunken. Hierbei ist die Inflationsrate nicht berücksichtigt. Insgesamt blieben 2005 die Einkünfte aus unselbstständiger Arbeit von mehr als einem Drittel der Beschäftigten unter der Niedriglohn-Schwelle. Anfang der 90er Jahre war dies noch bei nur rund einem Viertel der Arbeitnehmer/innen der Fall.

Eine weitere Risikogruppe, die besonders von Armut bedroht ist, sind Erwerbslose mit Kindern. Die Armutsquote von Haushalten mit Kindern, in denen beide Eltern erwerbslos sind, liegt bei 48%. Von den vollzeitbeschäftigten Paaren befindet sich mit 8% immerhin fast jedes zehnte Doppelverdiener-Paar mit dem verfügbaren Haushaltsbudget unter der Armutsgrenze.

OECD beklagt Doppelbelastung unterer Einkommen

Über die Realeinkommensverluste hinaus zählt die Steuer- und Abgabenbelastung in Deutschland im mittleren und unteren Einkommensbereich nicht nur international zur Spitze, sondern gehört zu den Hauptursachen für das steigende Armutsrisiko. Dies hat eine im Herbst 2007 von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) veröffentlichte Studie ergeben. Darin werden insbesondere die hohen Sozialversicherungsbeiträge der genannten Einkommensgruppen kritisiert. Seit den 70er Jahren sind diese von 27% auf rund 40% angestiegen. Mit der Folge, dass Durchschnittsverdiener nach Abzug von Steuern und Abgaben nicht einmal mehr über ein Einkommen verfügen, das dem steuerlichen Existenzminimum entspricht. Nach einer Modellrechnung bleibe einer vierköpfigen Familie bei einem Jahreseinkommen von 30.000 Euro nach Abzug aller Steuern und Abgaben inklusive Kindergeld lediglich 24.000 Euro.

Doch auch in der Einkommensteuer zeigt sich eine Schieflage. Weil die Einkommensgrenzen – im Unterschied zur Praxis in zahlreichen anderen Ländern – nicht regelmäßig an die Inflation angepasst werden, rutschen immer größere Teile der Bevölkerung in den Spitzensteuersatz. Ursprünglich griff der Höchststeuersatz erst bei einem Einkommen, das 20 Mal höher war als das Durchschnittseinkommen. Heute ist dies bereits beim 1,4-fachen Durchschnittseinkommen der Fall.

Kritik am Kriterienkatalog

Über die insbesondere vonseiten des Deutschen Gewerkschaftsbunds und der Wohlfahrtsverbände formulierte Kritik an den alarmierenden Ergebnissen des neuen Armuts- und Reichtumsberichts hinaus, gehen Experten sogar noch einen Schritt weiter und bezweifeln die Vollständigkeit des vorgelegten Zahlenwerks. Während sich die große Koalition auf die Statistik des sogenannten EU-Silc aus dem Jahr 2006, eine europaweit standardisierte Erhebung zu Einkommen stützt, verzeichnen die renommierten Erhebungen, wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (Längsschnittstudie des sozio-ökonomischen Panels des DIW), das wesentlich präzisere Indikatoren zugrunde legt, einen deutlich höheren Anstieg der Armutsquote. Das DIW hat – für den Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung – errechnet, dass die Armutsquote zwischen den Jahren 2000 und 2006 von 11,8 auf 18,3% angestiegen sei. Diese Zahl fehle aber in den Eckpunkten des Armutsberichts. Die vorgelegten Zahlen seien, so das DIW in einer Stellungnahme, „eine zu kurz geratene Auswahl der Fakten“.

Freitag, 15. August 2008

Bürgerantrag:

Funktioniert ähnlich wie ein Bürgerbegehren, allerdings hat es den Nachteil, dass es rechtlich keine Bindungsfrist hat. Dafür müssen auch "nur" 1 Prozent der abstimmungsberechtigen Bevölkerung unterschreiben.

Im wesentlichen enthält der Bürgerantrag abstimmungsfähige Forderungen in schriftlicher Form. Die Bezirksverordneten müssen dann über diesen Antrag abstimmen. Natürlich kann man sich die Mühe fast sparen, denn hat der Antrag Erfolgsaussichten kann man ihn gleich einem Parteimitglied geben und hat er keine erfolgsaussichten, dann sollte man lieber ein paar Unterschriften mehr sammeln und auf ein Bürgerbegehren zurückgreifen.

Demonstrationen und Kundgebungen

Demonstrationen und Kundgebungen sind eine bereits tausende Jahre alte Form der Artikulation von politischen Anliegen. Das Demonstrationsrecht ist als politisches, demokratisches Grundrecht durch das Grundgesetz geschützt - bisland allerdings nur für alle Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit (Art. 8 Grundgesetz). Dies hindert den Staat bzw. die Polizei jedoch nicht daran, das Demonstrationsrecht oft weitreichend und umfassend ausser Kraft zu setzen - ein aktuelles Beispiel waren etwa die weiträumigen Demonstrationsverbote rund um den G8-Gipfel in Heiligendamm. Nicht nur deswegen gibt es bei Demonstrationen und Kundgebungen einiges zu beachten.

Anmeldung
In der Regel müssen Demonstrationen angemeldet werden. Die Anmeldung hat offiziell bis zu 48 Stunden vor dem Beginn öffentlichen Ankündigung zu erfolgen. Dies geschieht am einfachsten per Fax oder Post (Anmeldeformular). Allerdings ist es jederzeit möglich, auch kurzfristig aus aktuellem Anlass eine Demonstration zu veranstalten. Die Anmeldefristen müssen dann nicht eingehalten werden - teilweise ist offiziell sogar nicht einmal ein Anmelder als "verantwortliche Person" erforderlich. Hier sind die Formulierungen allerdings äussserst vage - siehe auch die Infos der Polizei.

Auflagen
Es ist üblich, dass Polizei und Versammlungsbehörde im Vorfeld versuchen, das Demonstrationsrecht weitgehend einzuschänken. Oft heisst es, gewünschte Routen oder Kundgebungen seien nicht möglich (wegen laufenden Autoverkehrs, wegen Gefärdung öffentlicher Sicherheit, usw.). In der Regel versuchen die zuständigen PolizistInnen, die Demo-AnmelderInnen zum Einverständnis mit den Auflagen zu bewegen. Meist lohnt es sich hier hart zu bleiben; verweigert man die Zustimmung zu den Wünschen der OrdnungshüterInnen, ist oft einiges möglich. Sehr üblich in letzter Zeit und oft unnötigen Ärger verursachend ist die Auflage, keine Seitentransparente von mehr als 1,50 m Länge zuzulassen. Die gewünschte politische Aussage öffentlichkeitswirksam auf 1,50 m zu präsentieren, ist allerdings schwierig. Im Internet findet ihr diverse Infos, u.a. einen kurzen und guten Leitfaden des "Arbeitskreises kritischer Juristinnen und Juristen".

Übergriffe durch die Polizei
Leider ebenso fast zur Regel geworden sind Übergriffe durch Polizeibeamte auf Demonstrationen und Kundgebungen. Das Spektrum reicht hier von Schikanen und Beleidigungen über Tränengaseinsätze, Prügelorgien bis hin zu Massenfestnahmen.

Donnerstag, 14. August 2008

Bürgerbegehren:

Seit Mitte 2005 gibt es in Berlin die Möglichkeit, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid auf Bezirksebene durchzuführen. In vielen Situationen kann dieses ein durchaus gutes Mittel sein, öffentlichen Druck auszuüben!

Für die erste Stufe, das Bürgerbegehren, sind im Moment im Bezirk Kreuzberg-Friedrichshain ca. 5.000 gültige Unterschriften notwendig. In Kreuzberg-Friedrichshain gab es bislang drei Bürgerbegehren:

  • das erste der Initiative Zukunft Bethanien gegen die Privatisierung des Bethanien-Hauptgebäude am Mariannenplatz (Bürgerbegehren erfolgreich, Übernahme der wesentlichen Forderungen durch die BVV am 04.09.2006),
  • das zweite der CDU gegen die Dutschke-Strasse (Bürgerbegehren erfolgreich, Niederlage im Bürgerentscheid) und
  • das dritte der Initiative MediaSpree versenken gegen die Verbaung der Spreeufer (Bürgerbegehren und Entscheid erfolgreich).
Im folgenden haben wir den Ablauf eines solchen BürgerInnenbegehrens schematisch dargestellt. Leider ist gerade bei grösseren Bauprojekten oft die Handlungsmöglichkeiten der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) eingeschränkt - und damit auch das Mittel des BürgerInnenbegehrens. Mehr Informationen erhaltet ihr bei Mehr Demokratie e.V. sowie auf der Webseite der Initiative Zukunft Bethanien.

Leider gelten bei Bügerbegehren und Bürgerentscheid die gleichen rassistischen Gesetze wie bei jeder anderen bürgerlichen Wahl: Menschen ohne richtigen Pass dürfen nicht (gültig) wählen.

  1. Mitteilung
  2. BürgerInnen teilen dem Bezirksamt mit, daß sie ein BürgerInnenbegehren starten wollen. Sie legen eine mit Ja oder Nein zu beantwortende Frage vor und benennen drei Vertrauenspersonens
  3. Beratung
  4. Die InitiatorInnen haben ein Recht auf Beratung durch das Bezirksamt. Das Bezirksamt nimmt eine rechtliche Vorprüfung vor und schätzt die Kosten des begehrten Anliegens. Rechtliche Bedenken und Kostenschätzung werden den InitiatorInnen mitgeteilt.
  5. Anzeige
  6. Die InitiatorInnen reichen die Unterschriftenlisten mit Angabe der Kostenschätzung ein und können mit der Unterschriftensammlung beginnen.
  7. Prüfung der Zulässigkeit
  8. Innerhalb eines Monats nach der Anzeige prüft das Bezirksamt die rechtliche Zulässigkeit des BürgerInnenbegehrens.
  9. Unterschriftensammlung
  10. Nach Feststellung der Zulässigkeit haben die InitiatorInnen weitere sechs Monate Zeit, um die Unterschriften von drei Prozent der zur Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Wahlberechtigten zu sammeln. Auch bei BürgerInnenbegehren und BürgerInnenentscheid bleibt also ein grosser Teil der Bevölkerung ausgeschlossen.
  11. Einreichung der Unterschriften, Feststellung des Zustandekommens
  12. Nach Abgabe der Unterschriften werden diese innerhalb eines Monats gezählt. Ist die nötige Anzahl erreicht worden, wird das Zustandekommen des BürgerInnenbegehrens festgestellt, die Schutzwirkung tritt in Kraft: Bis zum BürgerInnenentscheid dürfen Bezirksamt und BVV keine dem BürgerInnenbegehren entgegen stehende Entscheidungen treffen oder umsetzen.
  13. Beratung in der BVV: Übernahme der Forderungen, Kompromiss, Bürgerentscheid?
  14. Innerhalb von zwei Monaten nach Feststellung des Zustandekommens befasst sich die BVV mit dem BürgerInnenbegehren. Es gibt drei Möglichkeiten: a) Sie stimmt dem Anliegen jetzt zu und macht es sich zu eigen, b) sie findet mit den InitiatorInnen einen Kompromiß, mit dem beide Seiten zufrieden sind, oder c) es kommt zum BürgerInnenentscheid. Passiert letzteres, kann die BVV zur Abstimmung einen Alternativvorschlag vorlegen.
  15. Information
  16. Die im Bezirk Wahlberechtigten erhalten Informationen über Termin und Ort des Bürgerentscheides, über die zur Abstimmung stehenden Vorlagen und die jeweiligen Argumente von InitiatorInnen und Bezirk.
  17. Durchführung
  18. Spätestens vier Monate nach Zustandekommen des BürgerInnenbegehrens findet ein BürgerInnenentscheid statt. Stimmberechtigt sind alle zur BVV Wahlberechtigten. Eine Vorlage gilt als angenommen, wenn sie eine Mehrheit der abgegebenen Stimmen erhält, sofern sich mindestens 15% der Wahlberechtigten am BürgerInnenentscheid beteiligt haben.
  19. Ergebnis
  20. Ein erfolgreicher BürgerInnenbescheid hat die gleiche Wirkung wie ein entsprechender Beschluß der BVV.

Mehr Informationen: Mehr Demokratie